Branch 251/
Syrische Staatsfolter vor Gericht

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Im Frühjahr 2023 veröffentlichten die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) und das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte (ECCHR) gemeinsam eine dreisprachige Anthologie mit dem Titel “Syrische Staatsfolter vor Gericht”, die den Al-Khatib-Prozess in Koblenz aufarbeitet und reflektiert. Die Anthologie stellt den Gesamtkomplex der Staatsfolter in Syrien und ihre Auswirkungen in einen historischen, sozialen und rechtlichen Kontext.


Unser “Branch 251”-Team nahm an der Auftaktveranstaltung teil, traf einige der Gäste, darunter auch einige der Autor*innen und feierte mit dem Publikum die Veröffentlichung der dreisprachigen Anthologie.
 

In dieser Sonderfolge reflektieren wir das Buch ein Jahr nach seiner Veröffentlichung und sprechen ausführlich über seine Entstehung mit dem Präsidenten der BpB, Thomas Krüger, und dem Senior Legal Advisor beim ECCHR in Berlin, Patrick Kroker.


Wichtige Links & Informationen:


Stimmen einiger Buchautor*innen in der Folge:

  1. Hannah El-Hitami
  2. Mariana Karkoutly 
  3. Florian Jeßberger

 

Episode Transcript

Skript

Syrische Staatsfolter vor Gericht

 

Einführung

 

Nadine (Gast): Ich bin hier, weil ich Syrerin bin und dieses Thema für mich und die ganze Welt von zentraler Bedeutung ist. Allerdings wird es selten systematisch behandelt und öffentlich gemacht.

 

Hannah (eine der Autorinnen der Buches): Ich war zwei Jahre lang fast jede Woche beim Koblenzer Prozess dabei. In dem Buch wollte ich zeigen, was ich dort sah, welche Menschen ich traf und was ich über die Bedeutung dieses Prozesses 
lernte. 

Ich wollte über die Zweifel sprechen, die während des Prozesses aufkamen, über die Probleme, die auftraten. Und auch darüber, was dieser Prozess letztlich für die Beteiligten bedeutete, vor allem für die Überlebenden aus Syrien.


Kinan (Gast): Die Leute, die viel Arbeit geleistet haben, sind echte Helden. Die Zeugen, die Nebenkläger und die Journalisten haben Unglaubliches geleistet.



 

FritzWillkommen zu diesem besonderen Podcast. Ich bin Fritz Streiff, Menschenrechtsanwalt und Podcaster. Und heute bin ich euer Host für diese Bonus-Episode, in der es um etwas Spezielles geht. Nämlich um das Buch “Syrische Staatsfolter vor Gericht”: Ein dreisprachiger Sammelband, der den Prozess reflektiert,  der auch in unserem Podcast “Branch 251” im Zentrum  stand: der Al-Khatib-Prozess in Koblenz.


 

Wir nehmen euch mit zurück zum Abend der Veröffentlichung des Buches im Frühling 2023 in Berlin. Wir waren an dem Abend dabei und haben mit Gästen und Autoren über die Bedeutung des Sammelbandes gesprochen, und über den Prozess im Allgemeinen und was er hinterlassen hat.


 

Seitdem haben wir auch mit den Machern und Herausgebern des Buches gesprochen: von der Menschenrechts-NGO European Center for Constitutional and Human Rights, kurz ECCHR, und von der Bundeszentrale für politische Bildung.


 

Also, setzt eure Kopfhörer auf oder schaltet die Lautsprecher ein, je nachdem wie ihr zuhört, und bereitet euch auf diese kleine Zeitreise vor. 



 

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Der Start/Anfang

Fritz: OK, wie gesagt, wir werden eine kleine Zeitreise machen, und das nicht nur zurück ins Jahr 2023 (dem Jahr der Veröffentlichung des Sammelbandes); denn um darüber zu sprechen, brauchen wir ein bisschen Kontext, und der führt uns zurück zum 23. April 2020. Der Tag, an dem die Vorsitzende Richterin des Koblenzer Gerichts den Beginn des Prozesses verkündete. Der Prozess war weltweit der erste Strafprozess überhaupt, der sich mit syrischer Staatsfolter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit befasste. Also ein echter Meilenstein.


 

An diesem 23. April 2020 präsentierte die Staatsanwaltschaft ihre Vorwürfe gegen zwei Männer. 


 

Zunächst waren alle Augen auf Anwar Raslan gerichtet: einen ehemaligen syrischen Geheimdiensmitarbeiter. Er wurde beschuldigt, die Folter von mindestens 4.000 Menschen und 58 Morde im Al-Khatib-Gefängnis in Damaskus überwacht zu haben. Das ist das Gefängnis, das auch als “Branch 251” bekannt wurde. 


 

Und dann war da noch der Mitangeklagte Eyad Al-Gharib:  Seine Aufgabe war es, Demonstranten festzunehmen und sie in dasselbe Gefängnis zu bringen, in das Branch 251. Also war seine Aufgabe gewissermaßen, festgenommene Demonstranten dem Hauptangeklagten zuzuführen.


 

Das Verfahren hat in Deutschland nach dem sogenannten Weltrechtsprinzip stattgefunden. Dieses Prinzip ermöglicht es, schwerste Verbrechen auch in Drittstaaten, wie zum Beispiel Deutschland, gerichtlich aufzuarbeiten.


 

An diesem Tag im April 2020, in den Anfangsmonaten der Corona-Pandemie, war der Gerichtssaal bis auf den letzten Stuhl gefüllt. Soweit es die Umstände eben erlaubten. Es waren Überlebende da, Menschenrechtsaktivisten, Journalisten und so weiter. Das Interesse und die Spannung waren groß. 


 

Die Prozessbeobachter des ECCHR beschrieben den ersten Prozesstag, und vor allem das Erscheinen der Angeklagten im Gerichtssaal, damals als "aufwühlend". Es begann etwas Wichtiges, etwas Historisches. 


 

“Ich klage an” begann der Oberstaatsanwalt seine Anklageschrift an diesem Tag vorzulesen. Mit diesem J’accuse war also dieses weltweit erste Strafverfahren gegen syrische Regime-Mitarbeiter offiziell losgegangen…    

 

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Fritz: Beide ehemaligen syrischen Staatsdiener wurden im gleichen Prozess angeklagt, aber im Laufe der Zeit entschied das Gericht, die beiden Fälle aufgrund der Art und Schwere der vorgeworfenen Verbrechen zu trennen.

Das heißt, dass am 24. Februar 2021, also etwas weniger als ein Jahr nach Prozessbeginn, der Fall von Eyad Al Gharib schon abgeschlossen wurde. Für seine Rolle wurde er wegen Beihilfe zu mindestens 30 Fällen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit für schuldig befunden und zu viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Elf Monate später, am 13 Januar 2022 wurde der Fall des höherrangigen Anwar Raslan abgeschlossen. Als ehemaliger Leiter der Ermittlungsabteilung der Haftanstalt Branch 251, wurde auch er schuldig befunden wegen Mittäterschaft an mehreren Verbrechen gegen die Menschlichkeit einschließlich Folter, 27 Morde, gefährliche Körperverletzungen und sexualisierter Gewalt. Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Mit diesem Schuldspruch, mehr als ein Jahrzehnt nach Beginn der syrischen Revolution, wurde also zum ersten Mal ein ehemals hochrangiges Mitglied der Assad-Regierung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gerichtlich verurteilt.

Meine Kollegen und ich haben damals eine ganze Podcast-Serie namens “Branch 251” gemacht. Auf Englisch und Arabisch. Die Serie auf Arabisch war uns dabei immer besonders wichtig. Wir haben versucht, dazu beizutragen, eine Lücke zu schließen, die das Gericht offengelassen hatte. Nämlich die Bereitstellung arabischer Übersetzungen der Verhandlungen, für die direkt Betroffenen und Interessierten. Außerdem wollten wir den Hörern nicht nur komplizierte Juristerei vermitteln, sondern eben auch, in beiden Sprachen, ein besseres und breiteres Verständnis des syrischen Kontextes: der syrischen Geschichte, dem Komplex der syrischen Haft- und Folteranstalten und den verschiedenen Arten von Verbrechen, die vor und nach der Revolution 2011 begangen wurden.


 

Wir finden, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass das jetzt hier vom ECCHR und der Bundeszentrale veröffentlichte Buch, eine der wichtigsten Dokumentationsquellen und zukünftigen Referenzen des Prozesses ist und sein wird. Die vielschichtige Veröffentlichung ist vor allem aufgrund ihres ganzheitlichen Ansatzes besonders: Die Autoren sind nicht nur Juristen, sondern kommen auch aus künstlerischen, humanitären und aus anderen AktivistInnenkreisen. 


 

Dass der Sammelband so gut gelungen ist, ist keine Selbstverständlichkeit. Weil, wie verdaut man einen so historischen und komplizierten Prozess in einem Buch, das dieser ganzen Komplexität gerecht wird? Darüber haben wir mit Patrick Kroker gesprochen. Er ist Rechtsanwalt und arbeitet als Senior Legal Advisor beim ECCHR, wo er die Syrien-Arbeit leitet. Patrick ist einer der Herausgeber des Buches.


 

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Fritz:  Patrick, bevor wir ein bisschen tiefer eintauchen, möchte ich am Anfang beginnen: Wie kam die Entscheidung zustande, diese Veröffentlichung überhaupt zu produzieren? Und warum gerade ein Sammelband? 

Patrick Kroker: Es war der erste Gerichtsfall weltweit, in dem das Thema syrischer Staatsfolter thematisiert wurde. In unserer Arbeit der Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien, die wir mit juristischen Mitteln betreiben, sind solche Gerichtsfälle, unserer Meinung nach, ein ganz zentraler Bestandteil dieser Aufarbeitung. Dabei ist es wichtig, dass Gerichtsfälle nie die alleinige Lösung sein dürfen, denn wenn man sich nur auf den juristischen Aspekt verlässt, ist die Wirkung sehr begrenzt. Deshalb leben diese Gerichtsfälle davon, dass sie dokumentiert werden und weiterhin Einfluss auf die Arbeit in anderen Disziplinen, in der Kunst, in der Wissenschaft, in der Bildung nehmen können. Nur so kann man eine Wirkung erzielen, die über den Gerichtssaal hinausgeht. Um diesen Fall zu unterstützen, dachten wir, es wäre wichtig, ein Buch zu veröffentlichen, das verschiedene Perspektiven darauf einbezieht. Deshalb war es uns wichtig, dass wir nicht nur die rein juristischen Aspekte oder die rechtshistorischen Ereignisse darstellen. Das sind Teile des Buches, doch wir wollten das Ganze in die syrische Geschichte einordnen und syrische KünstlerInnen haben, die diesen Fall künstlerisch kontextualisieren können. Wir wollten die Wirkung, die das Verfahren schon hatte, noch verstärken, sie erweitern, sodass er eine nachhaltige Wirkung hat, die über die juristischen Konsequenzen hinausgeht.


 

Fritz: Und da kommt dann wohl die Bundeszentrale für Politische Bildung ins Spiel. Wie kam es zu der Zusammenarbeit und was war Euch vom ECCHR dabei besonders wichtig?

 

Patrick Kroker: Die Bundeszentrale für politische Bildung ist natürlich der zentrale Partner gewesen bei dieser Publikation. Es gab vorher schon Kontakte und auch gemeinsame Publikationsprojekte und das hat dann dazu geführt, dass wir, als wir dann die Details besprochen, haben eben auf eine unglaubliche Bereitschaft gestoßen sind, die Expertise, die wir als ECCHR in diesem Verfahren über viele Jahre angesammelt hatten, eben bei der Gestaltung mit aufzunehmen.


 

Wir wollten zum Beispiel, dass sich die Bundeszentrale für politische Bildung, und das ist eines der Dinge, die ich immer fordern werde, darauf einlässt, das Buch dreisprachig zu veröffentlichen. Wir haben gesagt, es muss auf Arabisch erscheinen. Das war uns sehr wichtig. Wir wollen diese Wirkung haben, der das Volksstrafrecht kennzeichnet, der dieses Verfahren kennzeichnet. Das geht nur, wenn die Menschen, die es in erster Linie betrifft, nämlich SyrerInnen, etwas davon haben. Sie müssen dieses Buch in ihrer Sprache lesen können. Die Bundeszentrale hat sofort gesagt, natürlich, wir machen das auf Deutsch, auch auf Arabisch, und wir haben gesagt, am besten wäre es, wenn es auch auf Englisch wäre, und sie haben dem zugestimmt. Also haben sie eine unglaubliche Bereitschaft gezeigt, das zu machen, weil sie erkannt haben, was für ein besonderes Verfahren das ist, und dass wir viel Energie und Motivation in den Prozess eingebracht haben. Und für dieses Vertrauen sind wir immer noch sehr dankbar.


 

Fritz: OK, und wie ging es dann weiter? Kannst Du uns erzählen, wie ihr die Autoren ausgewählt habt, also wen wolltet ihr dabei haben und warum? 

Patrick Kroker: Wir wollten viele verschiedene Perspektiven auf dieses Verfahren haben. Und natürlich war die Rechtsordnung wichtig und auch die Kontextualisierung im deutschen Völkerstrafrecht. Wir hatten also einen Schwerpunkt gesetzt und dann sollte der andere sehr nah am Verfahren sein. Wir wollten, dass Leute, die eine enge Beziehung zu dem Fall hatten, zu Wort kommen und ihre Perspektive und ihre Überlegungen teilen. Das war der zweite Schwerpunkt und der dritte war, dass SyrerInnen zu Wort kommen, die das Verfahren einordnen und verarbeiten, sei es aus einem historischen, philosophischen oder künstlerischen Blickwinkel. Das war der dritte Schwerpunkt. 


 

Fritz: Dann muss das Ganze natürlich noch in die Tat umgesetzt werden und rüberkommen.. Das Buch ist seit gut einem Jahr verfügbar. Wie war das Feedback bisher? 


Patrick Kroker: Ja, wir haben im letzten Jahr sehr, sehr positive Rückmeldungen bekommen. Das Schöne an so einer Publikation ist, dass sie in ihrer Wirkung dauerhaft ist, weil die Leute sie immer wieder nutzen können. Wir sind natürlich auch extrem dankbar, dass die Bundeszentrale für politische Bildung sie für einen kostenlosen Download in allen drei Sprachen zur Verfügung gestellt hat. Wir haben aus allen drei Sprachgruppen sehr positive Rückmeldungen bekommen, weil es selten vorkommt, dass so ein Strafverfahren im Nachhinein in diesem Umfang reflektiert wird. Und das ist eine sehr große Bestätigung für die Wichtigkeit dieser Anstrengung. Und was auch wirklich schön war, war, dass wir die Veröffentlichung der Publikation letztes Jahr hier in Berlin feiern konnten, wo ganz viele Leute aus vielen Ländern, ich würde sagen aus der Community, zusammengekommen sind. Und ich glaube, bei dieser Arbeit, die wir machen, wo es sich anfühlt, als würde man die ganze Zeit den berühmten Felsbrocken einen Berg hinaufschieben, und der Stein rollt immer wieder runter, ist es ganz wichtig, dass man zwischendurch Momente hat, kleine Momente natürlich, wo man auf etwas Erreichtes zurückblicken kann. In diesen Momenten kann man die Errungenschaften wertschätzen, als solche wahrnehmen und auch feiern. Und deshalb war dieser Abend für uns ein Erfolg, und das ist es auch, was mit diesem Buch gelungen ist: dass wir an dem festhalten, was schon da ist. Ich denke, das ist auch für die Zukunft eine sehr wichtige Sache, diese Anstrengung, die Vergangenheit aufzuarbeiten und anzuerkennen.


 

Fritz: Der Prozess war ein echter Meilenstein. Und das Sammelband bezeugt das. Daran anknüpfend, Patrick, eine letzte Frage: Wie geht es jetzt weiter, wie ist es seit Koblenz weitergegangen mit dieser schwierigen und langwierigen Aufarbeitung der Verbrechen in Syrien?  


Patrick Kroker: Der Prozess in Koblenz war in vielerlei Hinsicht einmalig und wichtig. Vor allem war es weltweit das erste Mal, dass es eine Verurteilung von jemandem aus dem syrischen Regime gab wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, durch Folter, und sexueller Gewalt, durch zwangsweises Verschwindenlassen. Es ist ein ganz besonderer Anlass, wenn Berichte, die natürlich sehr wichtig sind, von UN-Kommissionen, Menschenrechtsorganisationen, von sehr mutigen AktivistInnen, juristisch überprüft werden und zu einer Verurteilung führen. Wenn man eine Verteidigung hat, die sich sehr genau darum kümmern kann, wenn alle Beweise, die dann berücksichtigt werden, stimmig sind, und so weiter. Das hat eine ganz andere Autorität. Wir haben angefangen, und da war eine große Mauer der Straflosigkeit. Und dann ist durch Koblenz zum ersten Mal ein großer Riss in dieser Ungerechtigkeit entstanden. Und das hat eine Signalwirkung, das zeigt den Opfern, dass es sich lohnt, für Gerechtigkeit zu kämpfen, auch wenn diese Fälle sehr lange dauern und sehr selektiv sind. Und das sehen wir in den Verfahren, die dann eingeleitet wurden, bestätigt. Wir haben jetzt in Paris die erste Verurteilung gegen hochrangige Täter aus dem syrischen Geheimdienst. Es gibt einen Haftbefehl gegen Assad. Der Prozess war also ein Meilenstein, auf dem in kurzer Zeit bereits aufgebaut werden konnte.


Fritz: Vielen Dank, Patrick. 


 

Mehr zur Syrien-Arbeit und den anderen Schwerpunkten des ECCHR gibt es auf der Webseite ecchr.eu. Ein Besuch lohnt sich auf jeden Fall!



 

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Fritz: Das ECCHR hat den Sammelband gemeinsam mit der Bundeszentrale für Politische Bildung veröffentlicht. Zu dieser Kooperation und dem Wert der Veröffentlichung zum Zweck der politischen Bildung werden wir gleich noch vom Präsidenten der Bundeszentrale hören.

 

Aber zunächst noch ein paar Stimmen und Eindrücke von Autoren und Gästen am Abend der Vorstellung des Buches, an einem warmen Frühlingsabend im Mai 2023 in Berlin. Kommt mit, und hört mal rein. 


 

 

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Mariana Karkoutly (eine der Autorinnen des Buches): Ich denke, dass der Wissensaustausch Syrern außerhalb des Gerichtssaals die Möglichkeit bietet, darüber zu sprechen, was dieses Konzept für uns bedeutet. Denn für viele der Menschen, die ich interviewt habe – und das habe ich nicht erwähnt – gibt es Justizprozesse nicht in Deutschland und nicht in europäischen Ländern, sondern in Syrien.

Für sie sind die Veränderung der Gesetze und die Art und Weise, wie wir diese Verbrechen und die Verantwortlichkeit betrachten, wichtig, wenn es um das Land geht. Es gibt also eine Art Bewegung in Richtung Veränderung, die Formulierung eines Konzepts von Gerechtigkeit. Und das geschieht nur, wenn man versteht, wie es funktioniert, wenn man Teil davon ist.


Miriam (Gast): Ich finde den Ansatz toll, dass es dreisprachig gleich von Anfang an gedacht worden ist. Ich würde mir natürlich auch wünschen, dass durch die Art der Beiträger, bzw. durch die Auswahl derjenigen, die jetzt Beiträge geliefert haben, diese Diskussion rausgeholt wird aus dem Gerichtssaal und einfach sozusagen vervielfältigt wird, sodass sie mehr Leute erreicht.

 

Florian Jeßberger(einer der Autoren des Buches): Ich habe in dem Buch einen Beitrag geschrieben, der sich nicht direkt mit dem Prozess selbst beschäftigt, sondern mit dem Rahmen, wie dieser Prozess sich in die Entwicklung des Völkerstrafrechts in Deutschland einfügt.

Der Koblenzer Prozess ist vielleicht deshalb wichtig, weil es tatsächlich darum geht, dass die Gerichte diese Rolle übernehmen, nämlich die Rolle, Teil eines internationalen Strafrechtssystems zu sein, in dem es nicht nur um die in Deutschland begangenen Verbrechen geht, sondern auch um Straftaten, die in Syrien begangenen worden sind. Und dieses Bewusstsein zu schaffen, auch bei den Gerichten, im Koblenzer Gericht, aber auch in anderen Gerichten, die derzeit in Deutschland solche Verfahren führen, ist der nächste Schritt. Es gibt noch Defizite, die auch im Buch angesprochen werden. Es geht um die Sprache des Verfahrens, um die Möglichkeit für die Betroffenen, dem Verfahren zu folgen, indem sie verstehen, worum es geht, also z.B. nicht alles nur auf Deutsch zu machen. Und es geht um viele andere Dinge. Das ist also die Situation, in der wir derzeit in Deutschland sind. Es hat also in den letzten Jahren große Fortschritte gegeben und jetzt müssen die Gerichte auch noch diese Rolle auch noch  annehmen.

 

Nadine (Gast): Ich erwarte von dem Buch, dass Sachen, die ich verfolgt habe, oder die wir alle verfolgt haben, während des Gerichtsverfahrens mit den Geschichten der Leute…den wirklich leiblichen Geschichten sozusagen in Zusammenhang gebracht werden. Weil man hat das Gefühl, wenn man solche Gerichtsverfahren verfolgt, dass es Sachen sind, die nicht wirklich um uns herum stattgefunden haben, sondern Sachen, die von uns sehr entfernt sind. Man geht nicht davon aus, dass um sich herum so viele Menschen laufen, die diese Erfahrung gemacht haben. Und das erwarte ich von diesem Buch… diesen Zusammenhang.
 


 

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Fritz: Das waren einige Stimmen der vielen Menschen, die bei der Vorstellung dabei waren. Man hört glaube ich ganz gut raus, was für einen besonderen Charakter der Abend hatte.

 

Wenn ihr neugierig geworden seid: ihr könnt ein Exemplar des Sammelbandes über die Website der Bundeszentrale erhalten. Als PDF sogar kostenlos. In den Shownotes dieser Folge gibt es dazu den Link.



 

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Fritz: Patrick und seinen Kollegen vom ECCHR war es wichtig, dass dieser Sammelband eben mehr sein sollte als eine rein juristische Dokumentation zum Verfahren in Koblenz. Die Bundeszentrale war deswegen wohl ein idealer Partner als Herausgeber. Hier kommt der zweite Teil vom “Behind the Scenes” des Sammelbandes: dieses Mal mit dem Präsidenten der Bundeszentrale, Thomas Krüger. 


 

Fritz: Herr Krüger, als ich die Webseite der Bundeszentrale besucht habe, ist mir sofort aufgefallen, was für eine unglaubliche Vielfalt im Angebot es dort gibt. Wie wählen Sie Ihre Themen aus?


Thomas Krüger: Wir haben also eine Palette von Grundthemen, die irgendwie mit dem Thema Demokratie verbunden sind. Wie funktioniert Demokratie? Was ist der verfassungsrechtliche Rahmen, mit dem wir zu tun haben? Wie werden Fragen der internationalen Politik oder der Europapolitik behandelt? Innenpolitische Fragen zur Sozialpolitik und Sicherheitspolitik. Also wird die ganze Bandbreite in der politischen Bildung vertreten und abgebildet. In diesem Buch, von dem wir hier sprechen, geht es um die Frage der Aufarbeitung von Kriegsverbrechen. Und das hat angesichts der Nürnberger Prozesse eine entsprechende historische Verankerung in Deutschland. Und insofern bietet es sich geradezu an, die Fragen des Völkerrechts, des Völkerstrafrechts genauer zu beleuchten und auch aktuelle Trends und ihr Verhältnis zu dem Recht in der Bundesrepublik in die politische Bildungsarbeit zu integrieren.

 

Fritz: Mit einem solchen Sammelband wie, er uns hier vorliegt, in drei Sprachen, was sagt das aus, also das Mehrsprachige, was die Zielgruppen der Bundeszentrale betrifft? 



Thomas Krüger:Zunächst einmal muss man verstehen, dass sich die aktuelle Tendenz im Bereich des Völkerstrafrechts dahingehend geändert hat, dass in den entsprechenden nationalen Gerichtsinfrastrukturen auch internationales Recht verhandelt werden kann. Das Verfahren in Koblenz zwischen 2020 und 2022 gegen zwei ehemalige Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes war eine neue Art, internationale Strafgerichtsbarkeit an deutschen Gerichten zu etablieren. Und deshalb ist es wichtig, dieses Thema für die gesamte Gesellschaft transparenter zu machen. Erstens für die Menschen, die in der Justiz arbeiten, zweitens für die politisch interessierte Öffentlichkeit und drittens für die vielen Geflüchteten aus Syrien, die als Aktivisten, als Teilhaber der Demokratiebewegung, auf der Flucht vor dem Assad-Regime nach Deutschland gekommen sind und daher ein intrinsisches Interesse am Fortgang dieses Prozesses haben. Deshalb richtet sich der Sammelband an unterschiedliche Zielgruppen und deshalb ist es auch sinnvoll, ihn mehrsprachig zu veröffentlichen. Konkret erschien er auf Deutsch, Englisch und Arabisch und hat in diesem Kontext natürlich eine ganz andere Verbreitung und eine ganz andere Verbreitungskraft, als wenn er nur auf Deutsch erschienen wäre.

Fritz: Sie haben den juristischen Trend angesprochen, den Koblenz illustriert; dann ist da die Mehrsprachigkeit –gerade auch auf Arabisch–, also der Zugang zu diesen Informationen auch für die direkt Betroffenen. Inwieweit würden Sie sagen, bereichert dieser Sammelband das bereits existierende Material der politischen Bildung noch mehr?


 

Thomas Krüger:Wir haben eine ganze Reihe von Publikationen, die sich mit dem Arabischen Frühling beschäftigen und einen größeren Kontext herstellen. Gerade Fragen des globalen Strafrechts waren bislang eine Lücke im Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung. Unsere langjährige Zusammenarbeit mit dem ECCHR hat daher einen konkreten Anknüpfungspunkt gehabt. Wir haben im Bereich von Veranstaltungen und von entsprechender Netzwerkarbeit schon länger mit dem ECCHR zusammengearbeitet und relativ viel interessierte Öffentlichkeit in Deutschland gefunden. Aber diese Multiplizität in Sachen Zielgruppen war für uns ein bisschen Neuland. Sie bereichert unser Publikationsangebot, das hinsichtlich der Rahmeninformationen schon relativ reichhaltig ist: Online-Dossiers, andere Publikationen, Seminarangebote und Veranstaltungen, das ist sozusagen alles vorhanden. Insofern baut sich diese Publikation in diesen Kontext ein und schließt eine Lücke.


 

Fritz: Die Kollegen vom ECCHR haben sich auch unser Kompliment schon abgeholt, aber auch noch einmal an dieser Stelle ein großes Kompliment von uns als Podcast-Produktionshaus, das den ganzen Fall begleitet hat: Diese Veröffentlichung ist wirklich ein großer Gewinn. Das können wir mit unserem Hintergrund so klar sagen. Aber was sagen andere? Wie wurde auf die Veröffentlichung reagiert?


Thomas Krüger: Was besonders stark zurückgemeldet wurde, ist, dass dieser Sammelband sehr heterogene Stimmen einfängt. Das heißt, juristische Positionen, die für die Rechtsprechung relevant sind. Zweitens aktivistische Stimmen. Drittens diejenigen, die vom Terror des Assad-Regimes betroffen sind. Viertens sind hier auch künstlerische und literarische Perspektiven thematisiert worden. Das heißt, ein sehr umfassender Ansatz, ein ganzheitlicher Ansatz, der hier verfolgt wird, in dem heterogene Perspektiven auf diesen Sachverhalt transportiert werden, und hier nicht nur rein juristische Fragen diskutiert werden, und die entsprechenden Prozessakten, wenn man so will, auf diese Weise wiedergegeben sind, sondern auch Kontextwissen hergestellt wird und in dem Rahmen mit publiziert wird. Und das ist von vielen Lesern gewürdigt worden, denen Kontextwissen fehlt und die die Einordnung diese Prozesses in die Bedeutung des globalen Völkerstrafrechts jetzt besser ermessen können.


Fritz: Das ist absolut gelungen. Vielen Dank dafür und für das Gespräch.

Thomas Krüger: Machs gut, auf Wiedersehen!


 

Fritz: Die Webseite der Bundeszentrale ist empfehlenswert, sie lautet bpb.de, dort gibt es wie gesagt auch das Buch und vieles, vieles mehr im Bereich der politischen Bildung.



 

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Ende

 

Fritz: Nach der letzten Staffel von “Branch 251” und unserer Berichterstattung über weitere Prozesse zu Syrien mit unserem zweiten Podcast “The Syria Trials” hatten wir eigentlich nicht erwartet, noch weitere Folgen zu machen. Aber man sieht hier mit dieser besonderen Ausgabe von heute, dass das Thema nach wie vor in voller Bewegung ist.


 

Und wer weiß? Vielleicht kommen wir ja nochmal wieder, wenn es was besonderes zu erzählen oder berichten gibt. 


 

Bis dahin, besucht gerne unsere Webseite 75podcasts.org. Da gibt es alle Folgen unserer zwei Podcasts, sowohl in Audio und auch bald in überarbeiteter Textform! Abschliessen wollen wir die Episode mit einer kurzen Lesung aus dem ersten Kapitel des Sammelbandes, nämlich mit einem Text von Ruham Hawash, einer der NebenklägerInnen in dem Verfahren.


 

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Voice Over

Meine Aussage als Zeugin in Koblenz – Juli 2021 / Von Ruham Hawash

 

“Im Zug, auf dem Weg zu meiner Aussage vor dem Oberlandesgericht Koblenz, musste ich an die öffentlichen Anhörungen in Tunesien denken, die von der dortigen “Kommission für Wahrheit und Würde” im November 2016 live im tunesischen Fernsehen ausgestrahlt worden waren. Schauplatz war der Club Elyssa in Sidi Bou Saïd bei Tunis, wo sich dutzende von Angehörigen von Mär- tyrer*innen und Verwundeten der tunesischen Revolution und Familien von den gefolterten oder gewaltsam verschwinden gelassenen Opfern des Regimes von Zine el-Abidine Ben Ali und Habib Bourguiba eingefunden hatten. Einer nach dem anderen berichtete von der Unterdrückung und der Folter, die sie in der Ben-Ali- und der Bourguiba-Zeit erlitten hatten. Ich hatte die Veranstaltung mit großem Interesse verfolgt, hatte aber auch viele Fragen. Warum übertrugen sie das live? Wo blieb der Respekt für die Privatsphäre der Opfer, der Gefolterten, der Unterdrückten?


 

In Koblenz ging ich in mein Hotelzimmer, in dem ich bis zum nächsten Morgen bleiben würde. Leider lag es im obersten Stockwerk des Gebäudes und hatte eine schräge, niedrige Decke. Ich bemühte mich, zu schlafen, aber es gelang mir nicht. Ich hatte das Gefühl, dass die Decke des Zimmers auf mir lastete und musste an meine Zelle in Damaskus denken. Wieder hatte ich Angst. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen und überlegte, was ich den Richter*innen am nächsten Tag sagen würde. Ich tröstete mich damit, dass dies das letzte Mal sein würde, dass ich meine Geschichte erzählen musste und dass dies eine gute Gelegenheit war, alles, was mir passiert war, endgültig hinter mir zu lassen.

 

Am nächsten Morgen betrat ich den Gerichtssaal und fühlte mich völlig fremd und von der Realität abgekoppelt. Erst die Hand meiner Freundin, die sie mir von ihrem Platz im Publikumsraum hinstreckte, brachte mich in die Realität zurück. Ihre Berührung war für mich der einzige wirkliche Moment in der ganzen Szene und ermutigte mich, weiterzugehen und mich zu den Reihen der Nebenklage zu begeben.

Ganz in der Nähe zu mir nahm der Angeklagte Platz, und auch hier konnte ich ihn nicht hassen und verspürte keine Freude darüber, dass er auf der Anklagebank saß. Stattdessen hatte ich wieder einen Moment lang grundlos Angst, die verflog, als das Gericht eintrat.

 

Alle setzten sich und meine Anhörung begann. Noch einmal musste ich meine Geschichte in all ihren ermüdenden Details wiederholen, diesmal in der Öffentlichkeit. Es fiel mir auch nicht leicht, sie vor meinen anwesenden Freund*innen zu erzählen, die nie irgendwelche Einzelheiten davon von mir gehört hatten.”